Freitag, 23. Oktober 2009

Nett oder doch lieber dreist?

... oder was ich hier doch noch alles lernen könnte

Tja, die nette Nicole, die kennt wahrscheinlich jeder von Euch. Und viele von Euch werden auch die Nicole kennen, die sich tierisch darüber aufregen kann, nur als nett bezeichnet zu werden. Und so einige werden auch wisssen, dass die Nicole manchmal auch gerne gegen ihre Nettigkeit angehen würde, aber es irgendwie nicht so ganz schafft.
Eigentlich wäre Israel die ideale Schule dafür. Aber zumindest bisher scheine ich in diesem Bereich noch nicht wirklich viel gelernt zu haben. Noch immer versuche ich nett zu sein, nett zu Leuten, die eigentlich einfach nur dreist und frech sind, wie man es in Israel einfach ist, ob man dort lebt oder als Tourist durchs Heilige Land tourt und glaubt, alle Rechte der Welt gepachtet zu haben, weil man eben gerade extra aus Argentininen, den USA oder sonstwoher angereist ist. Und dann muss man sich hier die dollsten Beschimpfungen anhören, weil man Leute nicht mehr in die Kirche oder nicht aufs Gelände lässt. Die frömmsten Christen verwünschen einen dann auf russisch oder sonst einer fremden Sprache in die Hölle und sonstwohin.
Waschechte Israelis reagieren einfach nur mit Chuzpe:

"Chuzpe [xʊtspə] (aus dem jiddischen חוצפה [chùtzpe] von hebräisch חצפה [chuzpà] für „Frechheit, Dreistigkeit, Unverschämtheit“ entlehnt) ist eine Mischung aus zielgerichteter, intelligenter Unverschämtheit, charmanter Penetranz und unwiderstehlicher Dreistigkeit.

Im Hebräischen enthält der Begriff eine negative Bewertung für jemanden, der die Grenzen der Höflichkeit aus egoistischen Motiven überschreitet. Im Jiddischen und in den meisten europäischen Sprachen schwingt Anerkennung für eine Form sozialer Unerschrockenheit mit. Hier spricht man insbesondere von Chuzpe, wenn jemand in einer eigentlich verlorenen Situation mit Dreistigkeit noch etwas für sich herauszuschlagen versucht." (wikipedia)

Konkret zum Beispiel heute, als wir einige Leute baten, eben nur mit dem Auto zu wenden und aus dem anderen Tor wieder herauszufahren: Der Fahrer tat, wie ihm geheißen, ließ aber beim Wendemanöver mal eben seine Fahrgäste aussteigen, so dass diese auf dem Gelände verweilten, als er es durchs sich schließende Rolltor wieder verließ.

Die kleine nette Nicole schafft es dennoch immer noch nicht, Leute vor dem verschlossenen Tor zu ignorieren und versucht immer wieder freundlich zu erklären, warum ein Einlass nicht möglich ist (z.B. weil ein Konzert stattfinden wird, der Chor gerade probt und man sich in der Kirche vor rund 250 aufgestellten Stühlen kaum bewegen kann). Gesünder leben vermutlich die, die keine Diskussionen eingehen und sich wüst beschimpfen lassen, sondern denen dann einfach selber an dieser Stelle der Kragen platzt. Eine Zwischenlösung habe ich noch nicht gefunden.

Wie oft habe ich mich über Menschen hier gewundert, die keine hilfsbereite Hand ausstrecken. Wie oft habe ich es jetzt schon erlebt, dass statt meines angebotenen kleinen Fingers gleich meine beiden Hände samt Armen mitgerissen wurden.
Wie oft habe ich die Netten als die Schwachen erlebt, die sich einfach nur nicht behaupten können.
Und wie oft habe ich gedacht, Leuten Kompromisse als kleine Zugeständnisse anzubieten, die dann schamlos ausgenutzt wurden.

Wie lange werde ich brauchen, um einen Mittelweg zu finden? Einen Weg, der der meinige ist, mit dem ich mich gut fühle - weder unfreundlich, noch ausgenutzt.